gelesen und besprochen von Dennis Kirstein.
Nach dem im vergangenen Herbst vorgestellten „Manifest für eine reflexive Ufo Forschung" (Wir berichteten: http://www.ufo-information.de/index.php/aktuelles/weblog/256-manifest-fuer-eine-reflexive-ufo-forschung) haben die beiden Herausgeber Michael Schetsche und Andreas Anton nun das dazugehörige Buch „Diesseits der Denkverbote – Bausteine für eine reflexive UFO-Forschung" vorgestellt. Das 272 Seiten dicke Werk kommt im Paperback daher und ist mit 29,90€ Verkaufspreis eigentlich schon über dem maximal Erträglichen.
Der Rückentext startet dann auch sofort mit stark polarisierenden Botschaften: „UFOs sind uns bis heute ein Rätsel geblieben." Gefolgt von: „UFOs sind ein fantastisches Phänomen mit vielen Deutungen." Es stellt sich die Frage, ob Ufos denn tatsächlich ein Rätsel geblieben sind und ob es sich bei Ihnen um ein fantastisches Phänomen handelt oder ob man nicht eher annehmen sollte, dass das Phänomen und nicht das Objekt der zu untersuchende Gegenstand sein sollte. Tatsächlich haben beide Forschungsgegenstände, die objekt- ebenso wie die subjektorientierte Ufo-Forschung, ihre Daseinsberechtigung. Leider wird die subjektbezogene Ufo-Forschung auch heute noch äußerst stiefmütterlich behandelt innerhalb der Laienforschung.
Der Rückentext hält noch einen weiteren Hammer bereit: „Nach 65 Jahren Ratlosigkeit scheint es Zeit für einen Neubeginn." Der Satz verschweigt die seit über 40 Jahren andauernde sachlich-fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema allein in Deutschland. Von einer Ratlosigkeit kann anhand Tausender geklärter Sichtungsfälle , Dutzenden bekannten Stimuli sowie der intensiven Auseinandersetzung mit den Subjekten, gerade auch im Zusammenspiel mit anerkannten Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen, keine Rede sein. Der Satz ist letztlich nur damit zu entschuldigen, dass er als Rückentext als Appetizer für das vorliegende Buch dienen soll.
Der akademischen Grundtenor der Texte ist dabei nicht zu überlesen. Für Interessierte der Thematik ohne akademischen Hintergrund macht das die Sache nicht unbedingt einfach. So gibt es Sätze, bei denen man mehr Zeit mit dem Nachschlagen von Begriffen beschäftigt ist als der Satz lang ist. Sicherlich lässt sich damit argumentieren, dass das Buch ein entsprechend akademisch gebildetes Publikum ansprechen soll, dennoch quält man sich durch manche Passagen mühsam hindurch. Es stellt sich auch die Frage, ob das angesprochene Klientel in ihrer Quantität überhaupt vorhanden ist.
Dem Szenekenner fällt zudem schnell ins Auge, dass der überwiegende Teil der Autoren mit der praktischen Feldforschung beim Ufo-Thema keine Erfahrung hat. So lesen sich einige der Texte für den Theoretiker sicherlich gut, für Untersucher mit praktischer Erfahrung im Umgang mit Ufo-Sichtungsfällen stellt sich hier und da jedoch ein Kopfschütteln ein. Idealbedingungen aus dem Lehrbuch haben eben nur selten etwas mit dem realen Leben zu tun. Dieser nicht erwähnte Umstand zieht sich durch das gesamte Werk.
Wenn man sich auf diese Gegebenheiten einlässt, vermittelt das Buch eine Botschaft, die überaus unterstützenswert ist: Das Ufo-Phänomen-Thema soll auf ein akademisch beachtetes Niveau gehoben werden, wozu die Einhaltung akademischer Standards notwendig werden. Außerdem gilt das Werk als Aufruf an Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen, sich dem Ufo-Thema anzunehmen. Leider vernachlässigen es die Herausgeber etwas, die bereits erfolgten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema zu erwähnen (siehe dazu auch unsere Rubrik „Artikel und Studien"). Erst im vergangenen Jahr hat sich der ui.de-Vertraute, Religionswissenschaftler und Referatsleiter Kirchen und Religion des Baden-Württembergischen Staatsministeriums Dr. Michael Blume eingehend mit dem Ufo-Glaube auseinandergesetzt. Zudem hat bspw. der Sprachwissenschaftler Ulf Harendarski zum Thema Gewißheitsbehauptungen im Zusammenhang mit vermeintlichen Ufo-Entführungen mehrfach referiert. Zugegeben, es handelt sich hierbei um lobenswerte Einzelfälle, die aber gerade aufgrund dessen erwähnt werden müssen. Auch, um das Eis aufzubrechen.
Das Buch setzt sich zusammen aus mehreren Aufsätzen verschiedener Autoren. Und wie immer in solchen Fällen variiert die Qualität der Beiträge stark. Als Negativbeispiel sei hier vorallem der Artikel „Souveränitat und das Ufo“ von Alexander Wendt und Raymond Duvall (übersetzt aus dem Englischen) erwähnt, welcher von einem politisch motiviertem Ufo-Tabu spricht und von Annahmen ausgeht, die teilweise haarsträubend sind. Im nachfolgenden Aufsatz stellt Ingbert Jüdt eine Gegenthese dazu auf und nimmt direkt Bezug auf Wendt und Duvall. Diese Gegenthese dient dann zugleich als Positivbeispiel für den zum Teil wertvollen Gehalts in diesem Buch.
In einem weiteren Aufsatz beschäftigen sich Danny Ammon, zweiter Vorstand der Gep e.V., und Natale Guido Cincinnati, mit der „Leistungsfähigkeit der UFO-Laienforschung“. Darin beschreiben sie die aktuelle Ist-Situation der deutschen Szene und gehen gehen auf Stärken und Schwächen einer von Laien betriebenen Ufo-Forschung ein.
Bei all der hier erwähnten Kritik muss fairerweise angemerkt werden, dass sich das Buch auf einem völlig anderen Level als die sonst üblichen Publikationen zum Thema bewegt. Meine kritischen Bemerkungen sind daher allesamt als „Jammern auf hohem Niveau" zu betrachten. Würde sich die gesamte deutschsprachige Ufo-Szene auf diesem Niveau befinden, hätten wir eine vollkommen andere Diskussionsgrundlage. So aber wird innerhalb der „Laienforschung" seit Jahrzehnten mühselig darüber gestritten sich wenigstens an den einfachsten wissenschaftlich etablierten Standards zu halten und stellt auch nach vier Jahrzehnten ernüchternd fest, dass in vielen Teilen der Ufo-Szene keinerlei Fortschritt zu erkennen ist. Mancher Wahrnehmung nach bewegt sich das Thema eher wieder einen Schritt in Richtung einer konspirativ angehauchten Esoterik. Alte Fälle werden, obwohl längst aufgeklärt, neu aufgewärmt und aus den Fehlern im Umgang mit dem Santilli-Alien-Fall hat man auch knapp zwei Jahrzehnte später nichts gelernt, wenn man sich die aktuellen Ereignisse rund um das angebliche Mini-Alien aus der Dokumentation „Sirius" betrachtet. Diese zum Teil rückwärt Entwicklung wird sicherlich nicht dazu beitragen das Ufo-Thema im Gesamten für die akademische Welt interessanter zu machen.
Die Absicht der Herausgeber, die hinter dieser Publikation steckt, ist aller Ehren wert. Alte Hasen der Ufo-Szene werden sich wohl fragen „Schon wieder?". Ja, das Thema ist tatsächlich ein alter Hut und wird wohl jedes Jahrzehnt neu aufgewärmt. Nun also ein erneuter Versuch. Das schmälert aber nicht deren Notwendigkeit. Es ist lediglich zu befürchten, dass auch der erneute Versuch sich im Sande verlaufen wird und zu hoffen, dass dem nicht so sein wird. Den Herausgebern dieses Buchs steht eine Mammutaufgabe bevor, um aus den theoretischen Ansätzen auch praktische Arbeit folgen zu lassen.
EAN: 9783643120397
ISBN: 3643120397
LIT VERLAG, 2013