Teil 2: Wissenschaft, Sprache und Denken
Nach dem ersten Beitrag zur Frage der Genauigkeit wissenschaftlicher Beobachtung und Interpretation zum Thema Augenzeugenpsychologie und Wissenschaft präsentieren wir Ihnen hier den zweiten Beitrag zum Thema Wissenschaft, Sprache und Denken vom Psychologen Dr. Matthew J. Sharps, den er ebenso auf seinem Blog The Forensic View veröffentlicht und uns dankenswerterweise zur Übersetzung bereitgestellt hat. In diesem Beitrag steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Art der Präsentation und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse das Verständnis des Inhalts beeinflusst. Insbesondere die sprachliche Vermittlung steht hier im Fokus. Gemeinsam mit dem ersten Beitrag ein interessantes Thema für jeden Forscher und wissenschaftlich Interessierten, auch im Hinblick auf die Interpretation von Aussagen zum Thema UFOs.
Wichtiger Hinweis: Die Rechte, auch an der deutschen Übersetzung, liegen bei Dr. Sharps. Eine Übernahme oder Weiterverwendung der Artikel ist nur mit seiner ausdrücklichen Genehmigung erlaubt.
Außerhalb der forensischen Box: Wissenschaft, Sprache und Denken
Matthew J. Sharps
Die Art und Weise, wie wir Ideen ausdrücken, kann die Interpretationen von Augenzeugen und Wissenschaftlern verändern.
Kernaussagen
- Die menschliche Psychologie spielt eine wichtige Rolle bei der wissenschaftlichen Beobachtung und Interpretation.
- Der Einfluss psychologischer Faktoren auf die Wissenschaft kann durch die Verwendung schriftlicher statt gesprochener Sprache vermittelt werden.
- Schriftliche wissenschaftliche Berichte können eine gründlichere Analyse und genauere Schlussfolgerungen ermöglichen als dasselbe Material in gesprochener Form.
Der Blog The Forensic View auf Psychology Today befasst sich natürlich hauptsächlich mit forensischen Themen, einschließlich der komplexen kognitiven Prozesse bei Augenzeugen. Wir wenden diese Ideen jedoch auch oft in anderen Bereichen an. Es gibt eine Kontinuität im Nervensystem; dieselben Prinzipien gelten in vielen Bereichen der Psychologie und bieten neue und wichtige Erklärungsansätze für das gesamte Feld, insbesondere im Bereich der Kognition und der Wahrnehmung. Wie wir in unserem letzten Forensic View gesehen haben, gilt dies sowohl für Augenzeugenprozesse in den Wissenschaften als auch in der Strafjustiz.
In diesem Beitrag [Anm.: Verweist auf den ersten Beitrag] gingen wir von der Tatsache aus, dass jeder Augenzeugenbericht eine Verschmelzung der tatsächlichen Szene mit den psychologischen Neigungen des Zeugen, des Beobachters, darstellt. Wissenschaftler, die über die gleichen Nervensysteme verfügen wie alle anderen Menschen, können den gleichen Unwägbarkeiten unterliegen. In diesem Beitrag haben wir diese Tatsache anhand mehrerer historischer Beispiele und einer neuen Studie von mehr als historischem Interesse aufgezeigt.
Wir haben herausgefunden, dass im wichtigen Bereich des Klimawandels frühere Überzeugungen über das Thema unsere Interpretationen von Umweltbeobachtungen erheblich verzerren können. Anhand von Bildpaaren geografischer Merkmale, bei denen entweder das Eis zurückgegangen oder das Wasser tiefer geworden war, fragten wir die Befragten nach den Ursachen für diese Unterschiede.
Auch wenn der Klimawandel sicherlich die Ursache für diese Veränderungen sein dürfte, so könnten es auch wechselnde Jahreszeiten, kurzlebige atmosphärische Bedingungen, Winde, Gezeiten oder viele andere Dinge sein. Da jedoch keine weiteren Informationen als die Rohbilder selbst vorlagen, glaubten diejenigen, die den Klimawandel als existenzbedrohend für die Erde ansahen, mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit, dass diese Unterschiede das direkte Ergebnis des Klimawandels waren und nicht die Folge der unzähligen anderen Faktoren, die solche Unterschiede auf saisonaler oder sogar kürzerer zyklischer Basis hervorrufen.
Der Klimawandel ist offensichtlich real und von größter Bedeutung. Es besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens über die potenziell existenziellen Gefahren des Klimawandels, da die zahlreichen natürlichen Klimaveränderungen auf diesem Planeten in der fernen Vergangenheit wiederholt in außerordentlicher und beängstigender Detailtreue nachgewiesen wurden.
Eine Reihe von Vorhersagen zum Klimawandel haben sich jedoch nicht bewahrheitet, und die derzeitigen Konzepte zum Klimawandel werden immer wieder in Frage gestellt. Diese Tatsachen machen es absolut notwendig, dass Beobachtungen und Interpretationen in diesem Bereich so objektiv wie möglich sind. Dennoch sehen wir hier klare Beweise dafür, dass unsere vorgefassten Meinungen unsere Interpretationen von relativ einfachen Beobachtungen (weniger Eis, mehr Wasser) verzerren können. Gibt es eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen?
Sprache und die visuelle Interpretation von Informationen
In einer Reihe herausragender Studien, die für die moderne forensische Psychologie grundlegend waren, hat Loftus (z. B. Loftus & Palmer, 1974) die Bedeutung der Sprache für die Interpretation visueller Informationen nachgewiesen.
In einer ihrer bekanntesten Studien wurde ein Film gezeigt, in dem ein Auto mit einem anderen Auto zusammenstieß. Wenn die Befragten gefragt wurden, wie schnell die Autos fuhren, als sie "zusammenstießen", oder ob sie Glasscherben sahen (es gab keine), gaben die Personen im Allgemeinen vernünftige Geschwindigkeitsschätzungen ab und berichteten korrekt, dass es keine Glasscherben gab.
Wurde die Formulierung jedoch dahingehend geändert, dass die Autos ineinander "gekracht" waren, gaben die Befragten viel höhere Geschwindigkeitsschätzungen ab, verbunden mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit, dass die nicht vorhandenen Glasscherben falsch gemeldet wurden.
Im Bereich der Strafjustiz sehen wir also die verzerrenden Auswirkungen der Sprache auf die Interpretation von Augenzeugen.
Könnte in der Wissenschaft die sprachliche Modalität die "Augenzeugenberichte" von Beobachtungen im kritischen Bereich des Klimawandels verzerren?
In unseren Studien (z. B. Sharps et al., 2021) haben wir den Befragten, die unsere geografischen Szenenpaare im Hinblick auf den Klimawandel beurteilten, Informationen über den Klimawandel gegeben. Alle erhielten die gleichen Informationen. Diese Informationen an sich hatten keinen Einfluss auf die Zuordnung der jeweiligen Szenenunterschiede zum Klimawandel, wohl aber die Art und Weise der Präsentation.
Wenn das Material durch das gesprochene Wort präsentiert wurde, wie z. B. in einer Radio- oder Podcast-Präsentation oder in einem Bericht, der von einem Nachrichtensprecher im Fernsehen vorgelesen wurde, war die Zuordnung der Szenenunterschiede zum Klimawandel tendenziell stark, auch wenn es keine Beweise dafür gab, dass dies der Fall war. Wurden die Informationen jedoch in schriftlicher Form oder in schriftlicher Form mit gesprochener Begleitung präsentiert, gab es deutlich weniger ungerechtfertigte Zuschreibungen der beobachteten Unterschiede an den Klimawandel.
Warum sollte dies der Fall sein? Das menschliche Gehirn räumt in der Regel der visuellen Verarbeitung einen höheren Stellenwert ein als der auditiven, und ein geschriebener Text führt zu einer visuellen Verarbeitung, die bei gesprochenem Material nicht gegeben ist. Relevante Ideen sind immer noch in unserem visuellen Feld vorhanden und können weiter verarbeitet werden, wenn wir weiter lesen. Im Allgemeinen können wir also sagen, dass die Verarbeitung von schriftlichem Material zu einer größeren Verarbeitungstiefe führen kann (z. B. Craik & Lockhart, 1972), was zu einer gründlicheren Betrachtung des jeweiligen Themas beiträgt. Im vorliegenden Fall führte diese gründliche Betrachtung zu einem besseren Verständnis der Tatsache, dass bestimmte Umweltunterschiede nicht nur durch globale Ursachen entstanden sein könnten.
Viele kognitive Faktoren beeinflussen die Beobachtung und Interpretation im Bereich der Strafjustiz (z. B. Sharps, 2022). Hier sehen wir ähnliche kognitive Einflüsse im Bereich wichtiger wissenschaftlicher Themen. Es hat sich gezeigt, dass frühere Überzeugungen in Bezug auf den Klimawandel die Befragten dazu veranlassten, Umweltunterschiede dieser Quelle zuzuschreiben, selbst wenn keine Beweise vorlagen; die einfache Verwendung schriftlicher statt mündlicher Informationen, obwohl diese Informationen in allen Modalitäten gleich waren, verringerte jedoch diese Verzerrung. Wenn wir uns der voreingenommenen Einflüsse bewusst sind, sowohl im wissenschaftlichen als auch im forensischen Bereich, können wir diese Einflüsse durch so einfache psychologische Techniken wie die Verwendung der stärksten Sprachmodalitäten verringern.
Die Stärke des Glaubens der Menschen an den Klimawandel veränderte ihre Interpretation wissenschaftlicher Daten, aber die Bereitstellung von Informationen in der richtigen Modalität hatte den gegenteiligen Effekt. Diese Ergebnisse zeigen, dass ein solides Verständnis der kognitiven Psychologie von großem Nutzen sein kann, um die Genauigkeit in kritischen Bereichen der Wissenschaft zu verbessern, und dass ein Großteil unseres Wissens über die forensische Kognitionswissenschaft produktiv in Bereichen wie den physikalischen Wissenschaften angewendet werden kann, die normalerweise außerhalb der forensischen "Box" liegen.
Verweise
Craik, F.I.M., & Lockhart, R.S. (1972). Levels of processing: A framework for memory research. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 11, 671-684.
Loftus, E.F., & Palmer, J.C. (1974). Reconstruction of automobile destruction: an example of the interaction between language and memory. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 13, 585-589.
Sharps, M.J. (2022). Processing under pressure: Stress, memory, and decision-making in law enforcement (3rd ed.). Flushing, NY: Looseleaf Law.
Sharps, M.J., Nagra, S.K., Paulsen, A.D., Moreno, J.C., Mortensen, S.R., Folmer, T.L., Jones, C.J., & Price-Sharps, J.L. The influence of information on environmental decision-making: Modes of delivery and depth of processing. Psychonomic Society, Virtual, November 5, 2021.
Im Text enthaltene Verlinkungen auf Grundlagen
Cognition: https://www.psychologytoday.com/us/basics/cognition
Neuroscience: https://www.psychologytoday.com/us/basics/neuroscience
Bias: https://www.psychologytoday.com/us/basics/bias
Forensic Psychology: https://www.psychologytoday.com/us/basics/forensic-psychology
» Hier geht es zum ersten Beitrag über die wissenschaftlichen Genauigkeit «
Eigene Anmerkung: Die im obigen Beitrag geschilderten Auswirkungen auf Zeugenaussagen, in Abhängigkeit sprachlicher Formulierungen in einer Befragung, betrifft unmittelbar auch Zeugeninterviews in der UFO-Falluntersuchung und sollte entsprechende Beachtung finden.
Über den Autor
Matthew J. Sharps, Ph.D., Professor für Psychologie an der California State University, Fresno. Er forscht unter anderem in forensischer Kognitionswissenschaft.
https://www.psychologytoday.com/us/contributors/matthew-j-sharps-phd
Originalquelle: https://www.psychologytoday.com/us/blog/the-forensic-view/202110/outside-the-forensic-box-eyewitness-psychology-and-science