Ein wesentlicher Bestandteil der Behauptungen des als „UFO-Whistleblower“ bezeichneten Ex-Armeeangehörigen und Geheimdienstmitarbeiters David Grusch ist die angebliche Bergung abgestürzter, außerirdischer Raumfahrzeuge und deren geheime Untersuchung und Nachentwicklung. Neben den überwiegend diffusen Einlassungen ohne konkrete Belege wird ein Vorfall konkret benannt, und zwar ein angeblicher Absturz eines UFOs 1933 in der Nähe von Mailand, dessen Überreste zuerst in Italien aufbewahrt und 1945 von den USA beschlagnahmt und in die Staaten verbracht worden sein sollen. Unter dem damaligen Mussolini-Regime soll es dafür auch eine eigene Abteilung gegeben haben, die als „Kabinett RS/33“ bezeichnet wird.
Und obwohl mittlerweile das US-amerikanische UAP-Büro AARO derartige Behauptungen über Abstürze und geborgener Überreste deutlich verneint hat, kursieren diese Geschichten erwartungsgemäß weiter.
Auch der Forteaner und Autor Ulrich Magin hat einen kritischen Blick auf diese Geschichte geworfen und dankenswerterweise einen kleinen Beitrag verfasst, den wir hier abdrucken möchten. Die Bilder entstammen dem Videobeitrag des Italieners Massimo Polidoro „L’UFO del Duce“ auf Youtube, sowie einem Beitrag von Pepijn van Erp auf seinem Blog.
Mussolinis Kabinett RS/33
Ulrich Magin
Seit 2023 werden die Aussagen des US-Geheimdienstlers David Grusch heftig diskutiert – für manche sind sie sogar der „Beweis“ dafür, dass es physikalisch reale UFOs tatsächlich gibt. Nun, das sind sie nicht – eine Aussage ist nur ein Text, kein physikalischer Beweis für irgendetwas.
Es soll hier nur auf einen Aspekt von Gruschs Aussage eingegangen werden, der mit Sicherheit falsch ist – und somit ein Licht auf all das wirft, was Grusch ausgesagt hat und was gern und begeistert für wahre Münze genommen wird.
Seit 2000 geistern durch die italienische UFO-Szene seltsame Gerüchte: der faschistische Diktator Benito Mussolini habe ein in Norditalien abgestürztes außerirdisches Raumschiff bergen lassen und eine Sonderkommission, das „Kabinett RS/33“, eingesetzt, um schon damals UFO-Sichtungen zu untersuchen. Genau das bestätigt der ehemalige US-Luftwaffenoffizier und Geheimdienstmitarbeiter David Grusch. Er will es aus streng geheimen Quellen wissen.
David Grusch behauptete in einer öffentlichen Anhörung „to have viewed documents reporting a spacecraft of non-human origin had been recovered by Benito Mussolini’s government in 1933 and procured by the U.S. in 1944 or 1945 with the assistance of the Vatican and the Five Eyes alliance“, er habe also „Dokumente eingesehen, aus denen hervorgeht, dass ein Raumschiff nichtmenschlichen Ursprungs 1933 von der Regierung Benito Mussolinis geborgen und 1944 oder 1945 mit Unterstützung des Vatikans und der Five Eyes-Allianz in die Vereinigten Staaten geschafft worden sei.“1
In Italien gilt das Thema – anders als bei Grusch – jedoch längst als Schwindel. Zahlreiche italienische UFO-Forscher haben die Dokumente genau unter die Lupe genommen, unter anderem der bekannte Forscher Edoardo Russo, und sind übereinstimmend zu diesem Urteil gekommen.
Eines von drei angeblich authentischen Telegrammen, in denen von einem unbekannten, abgestürzten Luftfahrzeug die Rede ist und von der Geheimhaltung dazu.
Auszug aus einem Memo, das sich auf den Zwischenfall bezieht.
Notiz aus dem Jahr 1936 mit Skizzen zu einem zylindrischen Objekt, das über Norditalien beobachtet worden sein soll
In Italien gilt das Thema – anders als bei Grusch – jedoch längst als Schwindel. Zahlreiche italienische UFO-Forscher haben die Dokumente genau unter die Lupe genommen, unter anderem der bekannte Forscher Edoardo Russo, und sind übereinstimmend zu diesem Urteil gekommen.
„Jede neue Erklärung zum Kabinett RS/33, zum angeblichen UFO-Absturz usw. usw. versetzt uns ins Staunen“, schrieb der italienische UFO-Forscher Gian Paolo Grassino am 26. April 2024 auf der europäischen UFO-Diskussionsliste.
Denn begonnen hat die Affäre um Mussolinis UFO-Crash nicht etwa 1933, sondern um die letzte Jahrtausendwende. Damals sandte ein anonymer Briefeschreiber Fotokopien von „Dokumenten“ über italienische Sichtungen aus der Zeit des Faschismus an die Zeitschrift der Anhänger des Kontaktlers Eugenio Siragusa. Sie prüften die Unterlagen und befanden sie als nicht vertrauenserweckend.
Danach gingen dieselben vorgeblichen Dokumente an die von dem italienischen UFO-Forscher Roberto Pinotti betreute Zeitschrift „Notiziario UFO“. Pinotti ist für seine unkritische Herangehensweise an das Thema bekannt, von Ancient Astronauts über das Bermuda-Dreieck bis hin zu Kornkreisen – kein Phänomen, das er nicht nach einer „eingehenden Untersuchung“ für wissenschaftlich belegt hält.
Nachdem er die ihm zugespielten „Dokumente“ abdruckte und enthusiastisch feierte, erhielt er immer weitere Kopien und „Originaldokumente“, die er zu Mussolinis UFO-Akten erklärte. Darunter sind auch möglicherweise originale Dokumente (also mit Schreibmaschine auf Papier, keine reinen Fotokopien), genau diese aber enthalten keinerlei Informationen zu einem RS/33-Kabinett (wie die UFO-Gruppe in den 1930er geheißen haben soll).
UFOs und abgestürzte Untertassen werden ausschließlich auf den nicht datierbaren Fotokopien erwähnt. Eine intensiver Recherche zahlreicher italienischer UFO-Forscher, die nicht mit Pinotti assoziiert sind, spürte keinen einzigen authentischen oder zeitgenössischen Hinweis auf die UFIO-Forschungsgruppe in den staatlichen Archiven auf. Es gibt nirgendwo, an keiner Stelle, die Historiker nutzen könnten, so erklärt Grassino, „Originaldokumente, es gibt keine Zeitzeugen, kein entsprechendes Dokument zum Nachweis der Existenz der Dokumente selbst und in jeder möglichen historischen Quelle nichts über RS/33“.
Zu diesem mit größter Sicherheit gefälschten Dokumenten kam dann ein mythologisches Szenario, das Alfredo Lissoni, ein Mitglied von Pinottis Centro Ufologico Nazionale, aus echten Zeitungsberichten der 1930er rekonstruierte und für das er mehrere Zeugen aus dritter und vierter Hand auftrieb: den angeblichen Absturz einer fliegenden Untertassen am 13. Juni 1933 in Maderno am Gardasee. „Auch in diesem Fall gibt es keine direkten Zeugenaussagen, keine Beweise, keine Quellen. Nichts.“
Beides – eine angebliche faschistische UFO-Studiengruppe und der Absturz eines außerirdischen Raumschiffs – wurde von Pinotti zu einer Erzählung verwoben. Diese teilte er 2018 bei einem Treffen in Rom dem amerikanischen UFO-Befürworter Luis Elizondo mit.
Da keine Dokumente in staatlichen Archiven existieren, kann Grusch seine Erzählung nur von Luis Elizondo haben und nicht von seinen Geheimdienstkontakten. Es scheint so, als könne man durchaus als leichtgläubig bezeichnen. Ein paar Fotokopien, der er nicht einmal lesen kann, sind für ihn unbestreitbare Fakten
Pinotti hat jedoch seit jüngstem noch einen Trumpf in der Hand: In diesem Jahr haben die heute 93-jährige Tochter des Erfinders Gugliemo Marconi und ihr 57-jähriger Sohn dem Boulevardmagazin „Gente“ bestätigt, dass ihr Vater (bzw. Großvater) 1933 in Mussolinis UFO-Forschung involviert war. Allerdings: Als ihr Vater starb, war die Tochter gerade mal 7 Jahre alt. Was hätte sie da verstehen, was behalten können? Und warum schwieg sie ihr ganzes Leben, nur um jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen? Und: Sie hat natürlich wieder kein Dokument, kein einziges Schriftstück, und natürlich auch keine Tagebuchnotiz ihres Vaters, die irgendetwas davon beweisen könnten.
Ich fragte noch den italienischen Experten für Nazi-Untertassen, Maurizio Verga, nach seiner Ansicht. Er war militant in seiner Ablehnung der Mussolini-Erzählung:
„Ganz ehrlich – ich habe mich mit dieser höchst lächerlichen Geschichte kaum befasst. Es gibt keine Belege. Wie bei so vielen anderen Episoden der UFO-Folklore wurden die Dokumente einem Ufologen (Roberto Pinotti) anonym zugespielt, wenn auch nicht als erstem. Bereits Monate zuvor gingen sie einer anderen UFO-Gruppe zu (echten Gläubigen), doch sie erkannte sie als Fälschung und beachtete sie nicht weiter. Ganz anders Pinotti, der von Publicity lebt. Die Dokumente sind historisch völlig wertlos, denn bei den meisten handelt es sich um Fotokopien. Einige waren Originale, bei denen dann ein Experte auf vielen Gebieten (vielleicht zu vielen Gebieten) bestätigtem dass Papier und Tinte möglicherweise aus den 1930er Jahren stammten. Das bedeutet natürlich nichts, trotz des zweifelhaften Experten. Jedenfalls handelte es sich um eine unbestätigte Geschichte, zu deren Bestätigung Querbezüge und Deutungen herbeigezogen wurden, die selbst ganz alltäglich waren (ein Blitzeinschlag, die Beobachtung eines ‚geheimnisvollen Flugzeugs‘), daraus strickte Pinotti dann eine zusammenhängende Geschichte und die Behauptung, die Ufologie habe in den 1930er Jahren in Italien begonnen. Nationalstolz! Im Laufe der Jahre hat sich die Geschichte stetig verändert, sie wurde in Romanen und Comics umgesetzt. Sie ist jetzt Teil unserer Pop-Kultur und wird immer wieder in unkritischen Artikeln aufgegriffen.“2
„Geheime“ Dokumente, die nur als Fotokopien vorliegen und die in keinem amtlichen Archiv registriert sind, können natürlich nicht als Beleg für irgendetwas dienen. Es gibt demnach, wie unsere italienischen Kollegen unisono feststellen, kein einziges authentisches Dokument aus belegbaren Quellen, dass Gruschs Angaben stürzt – nicht einmal eine Akte oder auch nur einen Aktenvermerk, der überhaupt darauf hinwiese. Und das, obwohl es sich bei dem Faschismus um eine der am besten erforschten Abschnitte der Geschichte handelt.
Nur eines ist sicher: Es werden auch in Zukunft Kopien und Kopien von Kopien von Akten auftauchen, die von Leuten stammen, die an der Geschichte weiterschreiben. Heute – nicht 1933. Und bei UFO-Fälschern, nicht bei amtlichen Stellen.
1 https://en.wikipedia.org/wiki/David_Grusch_UFO_whistleblower_claims
2 E-Mail von Maurizio Verga, 1. Juli 2024.
Ergänzend zu den Ausführungen Magins möchte ich noch zwei Punkte erwähnen. Einmal hinsichtlich Gruschs Erwähnung eines „glockenförmigen Objekts“, das damals geborgen worden sein soll. Ein solches Detail wird in den zugrundeliegenden, italienischen Quellen, sofern sie überhaupt echt sind, nicht erwähnt. Allerdings findet sich bei Filer’s Files ein Eintrag eines gewissen Billy Brophy mit einem Bericht über ein UFO-Symposium, an dem er 2010 in Italien teilnahm, wo er das Objekt als solches beschrieb.
Pepijn van Erp schreibt dazu:
Nach diesem Auszug scheint es mir, als ob Brophy zwei Geschichten zusammenbringt: Hitlers UFO, „Die Glocke“ - die er als „Die Locked“ missverstanden hat - und Mussolinis UFO. Brophy war mir noch kein Begriff, aber ich fand diesen Bericht in einem ausführlichen Artikel von Douglas Dean Johnson, in dem Brophys Rolle in einem anderen UFO-Fall erörtert wird. Aus diesem Artikel geht hervor, dass Brophy ein Phantast ist, der immer wieder versucht, andere UFO-Fälle aus der Vergangenheit mit seinem Vater William J. Brophy in Verbindung zu bringen, der Pilot in der US-Armee war.
Jacques Vallée, ein Ufologe, der seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle spielt, hat Brophy offenbar ernst genommen und seine Version des Baca-Padilla-Falls in sein Buch über den Fall aufgenommen. Vallée steht in Kontakt mit einer ganzen Reihe anderer Ufologen und es ist plausibel, dass Grusch so von Brophys Version erfahren hat. Dies würde auch erklären, warum er ebenfalls behauptet, dass Außerirdische geborgen wurden.
Ferner erwähnt Grusch die Unterrichtung von Papst Pius XI, was auch nur in Brodys Beschreibung so enthalten ist, nicht aber in den von Pinotti selber zitierten Dokumenten. Demnach gehörte die päpstliche Universität zu den Einrichtungen, die gerade nicht unterrichtet werden sollten, da alles aussschließlich unter der Kontrolle des Kabinett RS/33 bleiben sollte, s. den markierten Absatz in der nachfolgenden Abb.
Diese konkrete Behauptung Gruschs und dessen genaue Betrachtung zeigt und bestätigt, dass Grusch letztlich auf Erzählungen Dritter vertraut und diese weitergibt, ohne selber kritisch das Ganze zu hinterfragen oder woher das kommt.