von Ulrich Magin
Am 12. Mai 1919 wurde Aimé Michel in Saint-Vincent-les-Fort in den französischen Alpen geboren. Er wäre diesen Monat also 100 Jahre alt geworden und kann als der bedeutendste Vertreter der wissenschaftlichen UFO-Forschung in Europa gelten, zu einer Zeit, als psychosoziale Aspekte noch kaum diskutiert wurden.
Michel kann als einer der ersten wissenschaftlichen UFO-Forscher verstanden werden, der zwar von der Überzeugung ausging, dass es sich bei den „fliegenden Untertassen“ um außerirdische Besucher handelte, der aber weit entfernt davon war, alles blind zu glauben oder skeptische Erklärungsansätze einfach so beiseite zu wischen. Breiten Raum nehmen in seinen Büchern beispielsweise die (wie wir heute wissen: oft falschen) Erklärungsversuche von Donald Menzel ein, ohne dass Michel je in Polemik abgleitet. Michels bekanntester Beitrag zur UFO-Forschung ist seine These von der Orthotenie, die Feststellung, dass Sichtungen eines Tages innerhalb eines bestimmten geografischen Bereiches auf gerade Linien fallen (andere Forscher haben dieses „Phänomen“ so weit aufgeweicht, dass sie alle Sichtungen eines Landes bemühten, um Orthotenien zu erstellen, Michel achtete streng darauf, dass sie sich innerhalb von 24 Stunden ereignet hatten). Das war ein ernsthafter Versuch, über ein rationales Instrument zu verfügen, mittels dessen „echte“ von „falschen“ UFO-Begegnungen geschieden werden können. Da zur Erstellung der Linien aber der Ort des Beobachters gewählt wurde, nicht der Ort des UFOs, und weil die Netzwerke, die Michel fand, durch Zufall adäquat erklärt werden konnten, gestand Michel später ein, dass die Orthotenie ein Irrweg war. Danach nahm er nicht mehr an, dass das UFO-Rätsel als solches aufgeklärt werden könne, 1980 gab er deshalb die Ufologie auf.
Michels bekannteste Bücher sind seine beiden Beiträge zur UFO-Debatte. „The Truth about Flying Saucers“ (1954) war eine Einführung in die Geschichte des UFO-Phänomens in den Vereinigten Staaten und Europa von 1947 bis 1952, mit der Darstellung der wichtigsten Fälle sowie der wichtigsten Erklärungsansätze (von Außerirdischen bis zu konventionellen atmosphärischen Phänomenen); „Flying Saucers and the Straight Line Mystery“ (1958) stellt die anlässlich einer Untersuchung der französischen Welle vom Herbst 1954 erstmals die Orthotenie vor und ist zudem das erste Buch außerhalb der Kontaktliteratur, das sich ausgiebig mit Erfahrungen mit Humanoiden beschäftigt. Gerade das zweite Buch ist ein
äußerst elegant geschriebenes, pures Lesevergnügen. Michel verfasste aber auch zahlreiche Artikel für die englische „Flying Saucer Review“, darunter Berichte über die Landung von Valensole und den geheimnisvollen Fall des „Mister X“, der mutmaßlich nach einer Nahbegegnung unter Krankheiten und Hautproblemen litt.
Michel war zwar Philosoph, vor allem aber Wissenschaftsjournalist, und er ging – wie viele Naturwissenschaftler – mit anekdotischem Material so um, als handle es sich um Laborberichte. Hätte er etwas mehr von soziologischen und psychologischen Aspekten des Phänomens geahnt, er hätte sicher auch hier wertvolle Beiträge geleistet. Michel, Mathematiker, Parapsychologe und Philosoph, war eng mit den französischen Surrealisten vernetzt. Am 28. Dezember 1992 starb er in dem Dorf, in dem er geboren worden war.
Weitere Infos (englischsprachig) findet man unter http://www.euroufo.net/2019/05/100-years-ago-aime-michel-was-born/